G.W.F. Hegel und der Totalitarismus

Kommentar zu einer politischen Problematik der deutschen Philosophie 16. April, 2022, von Oliver Krieger


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   Hegel verehrte Napoleon Bonaparte. Der Bonapartismus gilt als der Beginn des modernen Totalitarismus, denn Napoleon machte einen beispiellosen militaristischen Drill und eine ebensolche Disziplin zum Standard. Was über preußische Tugenden und Kadavergehorsam gesagt werden konnte und gesagt wird, es gilt noch viel mehr für Napoleons militärische Form der Herrschaft.

   Hegel begriff den Staat nicht als eine Entität des bürgerlichen Rechts, sondern als göttlich-königliche Ordnung wie Kant, der den König zumindest respektierte, aber die bürgerliche Revolution prinzipiell nur in Deutschland ablehnte. Drum gelten in Hegels Staat auch nicht nur die Gesetze, sondern auch die Grundsätze. Während die Demokratie die Herrschaft des Volkes anerkennt, anstelle einer Ideologie, schuf Hegel die philosophische Grundlage für das Prinzip der Herrschaftsideologie, und er setzte den Staat, entgegen jeder früher bereits für sinnvoll erachteten Gewaltenteilung, gleich mit Gottesherrschaft.

   Hegels absoluter Idealismus beschreibt eine Vernunft, die sich als alle Realität begreift, gleichwohl versteht Hegel nur den Staat als objektive Entität, und das Individuum nur als objektiv, sofern es Staatsbürger ist, weil das Individuum und Objektivität unvereinbar sind.

   Hegel beschreibt in seiner Phänomenologie eine ähnliche Symbiose individueller Vernunft mit der Weltseele, denn die Vernunft des Menschen habe erst dann Erkenntnis gewonnen und verstanden, wenn die Weltseele erkennt und versteht.

   Das bedeutet, dass Hegel die Staatsordnung und den Geist der Menschheit als die Maße individuellen Lebens und Denkens begriff.

   Als Hegel philosophierte, war die Sklaverei noch nicht abgeschafft, darum gibt es für Hegel noch eine Klasse Menschen, die keine Staatsbürger sind, sondern nur Subjekte ohne Rechte und darum ohne Pflichten, ohne Pflichten, und darum ohne Rechte. Hegel ist hierdurch auch ein Wegbereiter des Kolonialismus.

   Wenn Hegel vom Staatsgeist schreibt, dieser sei nicht nur Erscheinung und Notwendigkeit, also Gesetz und Pflicht, Gesetzen gerecht zuwerden, sondern auch eine objektive Idealität, so ist hierdurch der Ideologie die Möglichkeit gegeben.

   


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   Hegels Begriff des Bösen ist falsch. Bereits Kinder, so Hegel, würden alsbald bösartig und müssten darum streng erzogen werden. Kindern fehlt zwar nicht der Wille, der tatsächlich, wie Hegel richtig erkannte, der Ursprung des Bösen ist, aber diesen fehlt die Vernunft, bösartige Gedanken zu hegen. Kinder sind allenfalls aggressiv, aber nicht böse. Das Kind, welches auf Erwachsene böse wirkt, übt mimetisches Verhalten, und hat gut von Erwachsenen die bösartige Artikulationsweise erlernt. Weil Kinder teils starke Willen haben, und darum widerspenstig scheinen, so will man diesen Bösartigkeit unterstellen, aber es ist in dieser Willenswidrigkeit nichts ursprünglich Böses auffindbar.

   Nach Ansicht Hegels ist das Böse mit dem Guten vergleichbar, weil es aus Moral entsteht, und die Moral und das Böse hätten darum eine gemeinsame Wurzel. Derlei ist eigentlich unvertretbar. Dass über ein beliebiges Handeln scheinbar diese beiden Urteile zugleich gesprochen werden können, liegt an der theoretischen Austauschbarkeit der Zwecke.

   Zudem bringe das Subjekt Böses hervor, durch die Berücksichtigung nur der eigenen Zwecke, und handle, insofern bösartig, nicht selbstlos.

   Selbst diese Definition genügt nicht, wenn man berücksichtigt, dass die Deutschen im Dritten Reich sich in Scharen selbst opferten, um Hitlers totalen Krieg zu kämpfen.

   Das Böse kann darum nicht als ein allgemeines richtig erfasst werden, weil die Allgemeinheit ihm widerspricht.

   Politischer Logik, und Hegel entsprechend, könne eine Bevölkerung, sofern sie nur groß genug und Masse wie Mehrheit ist, nicht böse sein oder handeln, weil ihre Zwecke kollektiv, und darum altruistisch sind, und, weil das Volk überdies, wenn in Mehrheit, immer eine Form von Recht etabliert, durch die auch Revolution aposteriori legitimisiert werden.

   Je mehr man den Trieb in den Blick rückt, so fällt an diesem auf, dass der Wille der Sadisten und Nekrophilen, der Rassisten und Sexisten wohl durchaus der Ursprung deren Bösartigkeit ist, aber es stellt sich bei zunehmender Perversion des Willens oftmals das Problem, diesen in Proportion zu seiner Vehemenz, also in Proportion zu seiner Bösartigkeit, als unfrei, oder als pathologisch zu beurteilen, wodurch das Bösartige hierinnen wiederum überbewertet wäre.

   Das Böse ist nach solcher Kritik an seiner Theorie nicht denkbar ohne eine Form der perversen Vernunft. Diese aber ist nicht notwendigerweise subjektiv, sondern erwachsen, sie ist nicht notwendigerweise vehement, sondern möglicherweise sehr banal, aber im mindesten bis zur bösen Tat, an der Reflexion und Kritik ihrer eigenen Unmoral desinteressiert.

   Negativität ist ein Medium und eine Ausdrucksform des Bösen, aber nicht alles, was negativer Affekt oder Negativität des Denkens ist, ist darum bösartig.

 


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   Kritisiert man Hegel ob seiner etwaigen Wegbereitung des Totalitarismus, so fällt auf, dass Hegels Begriff des Bösen in keinster Weise auf das anwendbar ist, was seit der Menschheitskrise der drei Weltkriege als Böse gilt. Insofern Hegel bereits das zum Bösen befähigte Kind verfolgt, so zählt er - wie auch Kant - zu der Riege der autoritären Pädagogen, denen jeder Begriff für die Nachteile schwarzer Erziehung ermangelt.

   Der historische Begriff des Bösen, insofern er oft weltliche Herrschaft meint, ist mit dem Begriff, den Hegel ausarbeitete, unvereinbar, denn dieser verstand das Böse als einen Exzess der Subjektivität und des Subjekts. Hegel war ein politisch konservativer Philosoph mit hoher Meinung von der Königsherrschaft.

   Es kann Hegel indes nicht vorgeworfen werden, den Totalitarismus erfunden zu haben, und die Legitimation der böswilligen Herrschaft, denn hierzu fehlten ihm die Begriffe. Allerdings hat Hegel, wie auch Nietzsche, den finsteren politischen Geist, aus dem der Hitlerismus entstand, wesentlich geformt.

   "Nach Hegel wird es keine Philosophie mehr geben", tönte nicht Hegel selbst, wenngleich ihm dieser Satz wohl wie ein Lob erschienen wäre, sondern die Deutschen nach ihm. In Anbetracht dessen, was Nazis mit Kants und Hegels Philosophie anrichteten, kann nur Denkfaulheit der Vater dieses Gedankens gewesen sein, und die Meinung, es müsse eine solch ausladende philosophische Erzählung wie die von Hegel nicht durch eigene Kritik verbessert werden.

Insofern man also Hegel wegen seiner Systemphilosophie eine Neigung zum Totalitarismus unterschieben will, so haben unkritische, und eher praktisch gesinnte Deutschen seit ihm wenigstens selbst sehr viel beigetragen zu dieser Assoziation.

 


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   Der hegelsche Begriff der "konkreten Totalität" hat nicht nur die Bedeutung Gottes, sondern wird noch auf weitere Dinge angewandt, konkret total, so Hegel, könne außerdem der Verstand sein, der Körper des einzelnen Menschen, das menschliche Subjekt. Daraus folgt nicht nur, dass Hegel mit seinem Begriff sehr willkürlich verfuhr, und einen Begriff, der eigentlich eine Universalität der Dinge bezeichnet, auf das anwandte, was Teil eines Größeren ist und sein Gleiches hat, sondern auch, dass Hegel keinen wissenschaftlichen, oder genauer, anthropologischen, oder kulturpsychologischen Begriff Gottes oder des Bösen hatte. Hegel mangelte eine Theorie der Entstehung des Gottesbegriffes, und somit ein vollständiges Wissen von den Bedingungen und Gründen der Entstehung von Gottesmythen und Gottesglaube. Darum ist nicht nur Hegels Begriff des Bösen, sondern auch sein Gottesbegriff defizient, und subjektiv.

   Das Gebot, sich von Gott kein Bild machen zu sollen, hat ebendiese Bedeutung, dass kein Mensch Gottes Reich im voraus kennen kann, nicht nur, dass die Menschheit heutigentags nicht wissen kann, wie sie in Zukunft leben wird.

   Dass die Begriffe Gottes und des Bösen, durch die allgemein menschlichen Verhaltensweisen der Lobpreisung und der Verfluchung nur im sozialen Kontext der Opferung ihren Sinn erhielten, und dass hierdurch deren mythischer Ausdruck von den Bedingungen ihrer Entstehung erheblich abweicht, hätte Hegel eigentlich stutzig machen müssen, insbesondere weil eine Bedeutung von Gott jene ist, dass den Menschen die Zukunft verborgen bleibt.

   Es sind indes eben diese ideologischen Vorstellungen von der Totalität Gottes, und der direkt vergleichbaren Göttlichkeit und Objektivität des Staates, sowie der Notwendigkeit, sich als politisches Subjekt diesem kadavergehorsam unterzuordnen, und der Vorstellung, eine beliebige Philosophie könne totale, ultimative, weil die Zukunft erklärende Philosophie sein, sowie die Naivität angesichts des opferbedingten Gottes- und Bösenbegriffes, welche die totalitären Regime der Moderne zu ihrer doppelten Moral, ihrer Kulturlosigkeit der Gehirnwäsche und der unmenschlichen Opferungspolitik, sowie zur undemokratischen, dem Volk enthobenen Autokratie beflügelten.

           


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   Die Erforschung des Texts der Phänomenologie Hegels hat zum Resultat die schlaglichtartige Erhellung der Gesamtfunktion, die Hegel für den Totalitarismus, der mit dem Bonapartismus seinen Anfang nahm, infolge hatte.

   Nicht nur ist Hegel nur seinem eigenen Begriff nach ein Idealist gewesen, weil materialistische und objektivistische Argumente inhaltlich wesentliche Punkte der Phänomenologie darstellen, sondern es ist die hegelsche Verklärung des Selbstopfers, wie ein roter Faden im gesamten Text wiederkehrend, eine erkennbare sozio-moralische Vorbereitung für eine politische Existenz der nachmals totalitär regierten Subjekte. Der Idealismus, also die Nachrangigkeit der eigenen Materie, ist in Hegels Denken eine dem materialistisch-absoluten, und ebenso wichtigen Staat geschuldete Untertanenleistung

 


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   Hegel kultivierte mit seiner Rechtsphilosophie einen "Staatsglauben", also einen aus staatsbürgerlicher Tugend gebotenen Glauben an den eigenen Staat, und eine Bereitschaft zur Selbstaufopferung diesem Staat zuliebe, in Abgrenzung zu Immanuel Kants "Vernunftglauben", also einem Glauben an die göttliche Vernunft, die sich durch den Menschen offenbart.

   Während Kants Vernunftglaube die philosophisch-intellektuelle Emanzipation von der Kirche, und die Säkularisierung vorbereiten sollte, so bereitete Hegels Staatsglaube die Sakralisierung der Staatspolitik, und einen Wandel der populären Politiken zu politischen Religionen vor.

   Beide fingen ihr an sich lobenswertes intellektuelles Unternehmen aber von der falschen Seite an, denn Kant störte sich mehr am religiösen Judentum, als am kirchlich institutionalisierten Christentum, und wird heute wegen seiner außerordentlich missverständlichen und unbedachten Wortwahl verurteilt, denn Kant schrieb damals, eine "Euthanasie des Judentums" wäre sinnvoll*. Diese Formulierung Immanuel Kants ist ein Hauptgrund für die heutige Auffassung, Kant sei ein früher antisemitischer deutscher Aufklärer gewesen. Ich behaupte, dass Kant sicher eine andere Formulierung gewählt hätte, hätte er nur gewusst, was hernach folgen würde, denn er kritisierte den wahnhaften deutschen Nationalismus schon im 18. Jahrhundert, und meinte an dieser Stelle gewiss nichts anderes als eine allgemeine Säkularisierung, also eine solche, die auch das Judentum einschließt.

   Hegels Staatsglaube aber war ein philosophisches Konzept deutschen Denkens, welches auch den notorischen preußischen Kadavergehorsam rechtfertige, und welches von Schopenhauer antisemitisch weitergeführt wurde, der den Deutschen abverlangte, sich nicht so materialistisch aufzuführen, wie die Juden, sondern einen deutschen Idealismus zu kultivieren.

   


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   Die Antisemitismusforschung begreift Kant, Hegel, Fichte, Schelling, Schleiermacher und Schopenhauer gleichermaßen als ideelle Wegbereiter der Nationalsozialisten. Ob Kant das vor 250 Jahren überhaupt gar nicht hätte haben wollen, ist heute zweitrangig, tatsächlich ist es völlig unwichtig, ob Kant ein eingefleischter Antisemit war oder nicht, wenn eine deutsche Bevölkerung im nationalsozialistischen Wahn sich seiner missbräuchlicherweise bediente, um ihr mörderisches Handeln zu rechtfertigen. Gleiches gilt für Hegel und Schopenhauer.


   Es ist daher Hegels Philosophie durchaus als eine günstige Entstehungsbedingung für die späteren Totalitarismen zu verstehen. Nicht nur ist das Leben das, was man aus ihm macht, sondern gleichsam ist es auch das Böse, und das Denken, welches zu ihm führt.
  
   Im Interesse ernsthafter und vernünftiger Säkularisierung müsste indes erforscht werden, ob eine von außen oder von oben initiierte, gesteuerte und erzwungene Säkularisierung einer Gesellschaft überhaupt möglich ist, ohne diese Gesellschaft selbst existentiell zu gefährden, nicht nur, weil jede politische Bewegung gleichwelcher Art zunächst als eine weitere politische Religion aufgefasst werden müsste, sondern auch, weil wiederum Heiligung,. d.h. Opferung, diesmal einer Religiosität selbst, der Gegenstand dieser Bewegung wäre. Die Forderung nach radikaler Säkularisierung, wie Kant sie vorbrachte, ist im mindesten als naiv, und darum  als riskant zu bewerten.

   Auch Fichte bereitete den Totalitarismus vor, sein Entwurf eines durch Nation und Religion geeinigten Staatswesens greift der totalitären Gleichschaltung voraus, seine Idee eines Buches für jedes Religionsmitglied, in welches alle sozial erheblichen Taten und Zwecke eingetragen werden, greift den Stasi Akten voraus, sein geschlossener Handelsstaat der sozialistischen Politik der späteren kommunistischen Staaten, zudem trieft Fichtes Ideologie, wie das Denken Hegels, von einer quasi nekrophilen Opfersuggestion.
 

 

*  Fundstelle:  Kant, Immanuel, "Der Streit der Facultäten in drei Abschnitten "  [AA VII, Seite 053, Zeile 16-23]

Standardzitierweise, gemäß "Kant's gesammelte Schriften, herausgegeben von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, später von der Preußischen Akademie der Wissenschaften, dann der Akademie der Wissenschaften der DDR, ab 1966 von der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (= Akademie-Ausgabe, AA)

 

 

Bibliographie :

G.W.F Hegel, "Phänomenologie des Geistes", u.a.

Immanuel Kant, gesammelte Werke

Gronke, H., Meyer, T., Neißer, B. [Hrsg.], "Antisemitismus bei Kant und anderen Denkern der Aufklärung", Königshausen & Neumann, 2001

Foucault, Michel, "Überwachen und Strafen", Suhrkamp Taschenbuch Verlag

Brumlik, Micha, "Deutscher Geist und Judenhaß. Das Verhältnis des philosophischen Idealismus zum Judentum", Luchterhand Verlag, 2000

 

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